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Chlor-Transporte in der Schweiz #242 18.07.2002 11:45
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UHeins Offline OP
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Unter der Überschrift "Schweiz macht Ernst" hat Gefährliche Ladung in den Aktuell-Meldungen vom 3. Juli über die Vereinbarung eines Maßnahmenpakets berichtet, die am 27. Juni 2002 vom schweizerischen Verkehrsminister Moritz Leuenberger, der SBB und der SGCI (Chemieverband) unterzeichnet wurde.

In der der Meldung zugrundeliegenden Pressemitteilung des UVEK (Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) heißt es dazu u.a. wörtlich:
Als erste Maßnahmen verzichtet die Chemische Industrie ab dem 1. Januar 2003 auf den Transport von Chlor in Kesselwagen. Dadurch wird der Chlortransport in der Schweiz um 25 % reduziert.

Nun haben ich folgende Gegendarstellung von dem Vertreter eines führenden schweizer Chemieunternehmens erhalten:
Dies stimmt nicht.
Die schweizerische Chemische Industrie hat sich vielmehr dahingehend verpflichtet, ab 2003 die schweizerischen Chlortransporte in Kesselwagen soweit zu optimieren, dass die Transportwege und Jahres-Kilometer möglichst kurz bzw. tief gehalten werden. In der Praxis bedeutet dies, dass die schweizerische Chemische Industrie weitestgehend auf die binnenschweizerischen Transporte Nord - Süd und Süd - Nord verzichten wird. Daraus ergibt sich dann eine Reduktion der Chlortransport-Kilometer pro Jahr um ca. 25% in der Schweiz.


Mein Kommentar dazu:
Was soll ich davon halten? Mir liegt die Pressemitteilung der UVEK vor, in der das steht, was ich in der Meldung verarbeitet habe. Sollte beim Verfassen der Pressemitteilung vielleicht der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein oder hat sich eventuell die Chemische Industrie der Schweiz über den Tisch ziehen lassen?
Wenn es so ist, wie in der Mail korrigierend geschrieben, dann wird sich meiner Ansicht nach faktisch nicht viel ändern. Wir haben mit solchen Absichtserklärungen in Deutschland unsere Erfahrungen ("Verlagerungsabkommen" der Chemischen Industrie mit der damaligen Deutschen Bundesbahn).

Ich würde mich freuen, wenn zu diesem Thema Meinungsbeiträge oder auch ein paar klärende, überzeugende Statements kommen würden.


----> Je geringer das Wissen, desto sicherer das Urteil <----
Re: Chlor-Transporte in der Schweiz [Re: UHeins] #243 18.07.2002 12:42
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Erwin Sigrist Offline
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In der Tat wurde die Medienmitteilung des UVEK in den Medien nicht korrekt wiedergegeben und GELA hat sie so übernommen. Wörtlich heisst es in der offiziellen Mitteilung: ".....verzichtet die schweizerische chemische Industrie eigenverantwortlich auf den regelmässigen Binnentransport von Chlor in Kesselwagen, unter anderem zwischen der Nordwestschweiz und dem Wallis." (die Medienmitteilung des UVEK finden Sie unter http://www.uvek.admin.ch/gs_uvek/de...lungen/artikel/20020627/01089/index.html .)

Unsere Industrie organisiert die Versorgung mit Chlor spätestens ab dem 1.1.2003 so, dass die Risiken beim Transport mit der Bahn minimiert werden. Dazu berücksichtigt sie insbesondere die Transportdistanzen sowie die Eigenschaften und die Umgebung der Transportwege. Die SBB AG unterstützt sie bei der Organisation dieser optimierten Transportwege.
Ich hoffe damit zur Klärung beigetragen zu haben.


scienceindustries
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Re: Chlor-Transporte in der Schweiz [Re: Erwin Sigrist] #244 18.07.2002 13:36
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UHeins Offline OP
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So ganz überzeugt mich das noch nicht.

Man werfe bitte mal einen Blick in den Originaltext der Vereinbarung. Unter 1. Massnahmen - 1.1 Transportwege mit minimalen Risiken ist lediglich zu lesen:



Die schweizerische chemische Industrie organisiert die Versorgung mit Chlor spätestens ab dem 1.1.2003 so, dass die Risiken beim Transport mit der Bahn minimiert werden. Dazu berücksichtigt sie insbesondere die Transportdistanzen sowie die Eigenschaften und die Umgebung der Transportwege. Die SBB AG unterstützt sie bei der Organisation dieser optimierten Transportwege.



Da steht nichts von regionalen Schwerpunkten.



Und in der von Ihnen angeführten Medieninformation finde ich die Formulierung verzichtet ... eigenverantwortlich auf den regelmässigen Binnentransport von Chlor ... sehr schwammig. Hat die schweizerische Chemie-Industrie bisher Chlor-Transporte aus lauter Jux und Dollerei betrieben? Oder könnte es nicht sein, dass sie dafür zahlende Abnehmer hat? Wie werden die künftig an ihren Rohstoff herankommen? Dann wird Chlor wahrscheinlich woanders eingekauft und kommt im Schienen-Transit durch die Schweiz, oder?



Ganz abgesehen von diesen Feinheiten - wie sieht es aus mit einer allfälligen Änderung des RID unter Berücksichtigung der internationalen Verhandlungen, Notifizierungsfrist und Übergangsfrist?



Es bleiben viele Fragen offen ...


----> Je geringer das Wissen, desto sicherer das Urteil <----
Re: Chlor-Transporte in der Schweiz [Re: UHeins] #245 18.07.2002 15:05
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An dieser Pressemitteilung ist (ausnahmsweise) gar nichts faul. Ich finde es unter Fachleuten, die technische Risiken beurteilen können, absolut nachvollziebar, dass man unnötige Transporte von Gefahrgütern wie Chlor vermeidet und eine lokal vorhandene Versorgung optimal nutzt.

Lokal / regional begrenzte Transporte lassen sich oft nicht vermeiden, es sei denn von Staats- und/oder Konsumentenseite werden derartige Anreize geschaffen ,dass eine weitestgehende dezentrale Herstellung der betr. Stoffe - die technisch absolut möglich wäre - ökonomisch Sinn macht.

Wenn ich jedoch auf die globale, völlig ohne ökologische und soziale Regelkreise ablaufende Entwicklung schaue, würde es mich nicht weiter verwundern, wenn in nicht zu ferner Zeit das Chlor aus China via Italien billiger ins Wallis käme - trotz Greenpeace, WWF und anderen honorigen NGOs.

Re: Chlor-Transporte in der Schweiz #246 19.07.2002 11:51
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UHeins Offline OP
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Zwischenzeitlich habe ich erfahren, dass die mir vorliegende Pressemitteilung offenbar ein "Schnellschuss" war und der Text im Nachhinein modifiziert wurde. Das Zitat von Herrn Sigrist ist insofern zutreffend. Aber man sollte auch nicht sagen, die Medien hätten die Mitteilung "falsch wiedergegeben"!
Schade, dass die der Vereinbarung zu Grunde liegenden vernünftigen Beweggründe nicht deutlicher gemacht wurden. Erst ausführliche Telefonate machten klar, dass es bei dieser Initiative um eine sehr zielgerichtete Maßnahme zur Verringerung des Chlor-Verkehrs auf einer ganz bestimmten Nord-Süd Achse ging. Dieser scheint in der Tat überflüssig.

Wenn jemand wie ich ein so tiefes Vertrauen in die (immer wieder betonte) Eigenverantwortlichkeit der Chemischen Industrie hat, dann enttäuscht es schon ein wenig, wenn es erst massiver Bürgerbegehren bedarf, bis intelligente logistische Lösungen für Problemstoffe gefunden werden. Das mag daran liegen, das intelligente Lösungen nicht unbedingt die kostengünstigsten sind.

Hingegen spricht es für das Marketinggeschick der Beteiligten, aus einem Handlungsversäumnis noch PR-Kapital zu schlagen.


----> Je geringer das Wissen, desto sicherer das Urteil <----
Re: Chlor-Transporte in der Schweiz [Re: UHeins] #247 06.08.2002 14:02
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Die sog. Störfall-Verordnung (die CH-Ausgabe der Seveso-Richtlinie) schreibt im Rahmen von Risikoanalysen potenzieller Gefährdungsorte auch Analysen von Verkehrswegen vor. Als Folge dieser Analysen wurden für 34 km der gesamten SBB Strecken das Risiko als nicht tragbar bezeichnet. Das veranlasste das UVEK dafür die genannten speziellen Transportmassnahmen für das gesamte SBB Netz vorzusehen, wobei nach einer Gesprächsrunde die SGCI mit den in der Pressemitteilung genannten Kompromisse einverstanden war. Die Schweiz. Ges. für Chemische Industrie (SGCI) hatte aber sich vor ca. 10 Jahren mit Erfolg gegen einen Verbot von Transporten von Vinylchlorid in Ganzzügen durch die Schweiz (auch durch den Gotthard Eisenbahntunnel) gewehrt, die auch nicht so ungefährlich sind. Ihre Zustimmung zur vorliegenden Vereinbarung ist insofern schon erstaunlich.



Nun zu den eingeleiteten und vorgesehenen Maßnahmen:

1. Chlortransport: Es soll der Chlortransport mit Eisenbahnwagen in der Schweiz um 25 % reduziert werden. In meinen Unterlagen steht, der Transport von der Nordwestschweiz ins Wallis soll eingestellt werden. Jedermann weiss aber, dass Chlor ein Eckpfeiler chemischer Synthesen ist. Wenn es also nicht mehr transportiert wird, was dann? Wie kommt Solvay Zurzach, der Chlorproduzent in der (nordwest) Schweiz, zum Versenden seines Stoffes zur Lonza (mit "Wallis" ist wahrscheinlich diese Firma gemeint), damit auch dort weiterhin produziert werden kann? Wahrscheinlich mit Tankfahrzeugen auf der Straße. Ist das sicherer? Lonza verfügt selber über keine Chlorproduktion und seinerzeit hatte die Europäische Chemische Industrie eine Konzentration von gefährlichen Stoffen an einigen Orten in Europa propagiert mit dem Ziel, das Risiko gefährlicher Herstellungen im Griff zu haben. Und nun?



2. Chlor und Schwefeldioxid dürfen nur unter verschärften Bedingungen transportiert werden. In mir zur Verfügung gestellten Unterlagen werden damit Sonderfahrten und spezielle Kesselwagen gemeint. Nun Sonderfahrten: Transport einzelner Kessel mit Feuerwehr-Begleitung? Im Zugverband mit einem Oberaufseher auf dem Wagen oder wird der Wagen einzeln von Zurzach nach Visp transportiert? Ist das wirtschaftlich?

Dann werden spezielle Kesselwagen gefordert. Was heisst denn das? Die bisherigen Kesselwagen für diese Stoffe, gebaut im Rahmen der RID-Bestimmungen, haben sich seit x Jahren bestens bewährt.

Prescht nun die Schweiz vor und will spezielle Kesselwagen, muss man annehmen, dass sie diese auch international durchsetzen will/wird. Wie ich die Situation kenne, wird dies der schweiz. Delegation gegen den Widerstand der Chlor produzierenden und verarbeitenden Industrie kaum gelingen (diese ist zu Recht stolz auf ihren Safety Record). Dann haben wir die unmögliche Situation, dass national teure Sonder-Kesselwagen verwendet werden müssen, während der internationale Verkehr (der gemäß RID nicht verboten werden kann, wenn nicht CH-konforme Kesselwagen verwendet werden) durch RID-konforme Kesselwagen vorgenommen werden kann.



3. Entgleisungsmelder sind o.k., nur sollten sie laut SBB seit dem Entgleisungs-Unfall eines Ganzzuges mit Benzin in Zürich-Affoltern (März 1994) auf den Wagen mit gefährlichen Gütern schon lange angebracht sein!



Alles in allem bin ich von den von der Schweizerischen Chemie zugestandenen Änderungen wenig begeistert <img src="http://www.gefahrgut-foren.de/ubbthreads/images/icons/confused.gif" alt="" /> weil die zu egreifenden Massnahmen übertrieben sind für "nur" 34 km des Schienennetzes, welche gemäss Störfallverordnung auf Grund der Risikoanalyse ein sog. nicht tragbares Risiko besitzen (nun wie viele Prozente des gesamten Netzes sind das - 2 %?). Da wird wieder einmal die Chemische Industrie als die Schuldige für Unfälle hingestellt.



Michael Gut

Zuletzt bearbeitet von Mike Good; 08.08.2002 07:10.

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