folgendes Problem: UN 1408 Ferrosilicium, 4.3 (6.1), III (mehr als 30 Masse-%, weniger als 90 Masse-% Silicium).
Dieser Stoff wird mitunter als Nicht-Gefahrgut transportiert mit der Begründung, dass der Stoff nach Tests (BAM) - konkret dem Test nach III, 33.4 des "manual of tests and criteria" - keine gefährlichen Eigenschaften für eine Klassifizierung in 4.3 aufweist. Nun bleibt trotzdem die Nebengefahr der Giftigkeit (Stoff entwickelt giftige Gase). Also ist es doch nicht zulässig, nur aufgrund der Tests auf Nichtvorliegen gefährlicher Eigenchaften der Klasse 4.3 zu schließen, dass es generell kein Gefahrgut ist? Teilweise wird der Stoff auch auf See als GG transportiert und dann während der Transportkette - wenn es also auf Land weitergeht - in Nichtgefahrgut umklassifiziert.
Das Sicherheitsdatenblatt sagt dazu:
Antwort auf
UN. No.: 1408
IMO/BC-Kode2), 3): (30-90)% Si, Klasse 4.3
BC No.: 022
IMO/BC-Kode2), 3): (25-30 und >90)% Si, Klasse MHB
IMDG-Kode1) Nicht zugehörig zur Klasse 4.3
ICAO/IATA1) Nicht zugehörig zur Klasse 4.3
ADR/RID1) Nicht zugehörig zur Klasse 4.3
1) Produkte mit einer Abschnitt 2 entsprechenden chemischen Spezifikation, wurden nach folgendem Verfahren getestet:
“United Nations Recommendations on the Transport of Dangerous Goods, Manual of Test and Ctriteria Part III-
33.4.1.4” (amdt. 29-1998). Sie erfüllen nicht die Kriterien für eine Einstufung als Klasse 4.3 Produkt.
2) Mindestens 3 Tage unter Luftzufuhr an einer trockenen Stelle bei unveränderter Körnung bis zur Verschiffung lagern.
3) IMO's "Code of Safe Practice for Solid Bulk Cargoes", (Sicherer Umgang mit festen Schüttgütern)
Das SDB schließt also nur 4.3 aus - kann man denn daraus schließen, dass es allgemein kein Gefahrgut ist? Wenn ja - auf welcher Grundlage?
Gibt es (umsetzbare, durchführbare!) Tests, die ermöglichen würden, auch die gefährlichen Eigenschaften nach 6.1 (konkret: Bildung giftiger Gase) auszuschließen?
diese Frage scheint mir doch allgemeiner Art zu sein.
Bleibt ein Stoff, der namentlich im ADR genannt wird und innerhalb bestimmter Grenzen als Gefahrgut eingestuft ist, Gefahrgut obwohl u. U. Tests zu einem anderen Ergebniss kommen?
Erschüttert dies dann nicht die ganzen Regularien, wenn man einen namentlich genannten Stoff durch eingene Tests aus den Gefahrgutvorschriften herausnehmen könnte.
Ich denke NEIN. Ein namentlich benannter Stoff bleibt Gefahrgut innerhalb der Regeln des ARD, Bsp. Konzentrationsgrenzen. Anderes Beispiel: Diesel / Heizöl bleibt Gefahrgut, obwohl die Testkriterien für die KL. 3 zu einem anderen Ergebniss kommen können.
Diesel/ Benzin ist und bleibt Gefahrgut, weil es immer einen Flammpunkt hat, der ihn in Klasse 3 katapultiert.
Bei meinem FeSi schreibt sogar die BAM, dass es keine gefährlichen Eigenschaften nach 4.3 hat - also kann es auch (dieses bestimmte FeSi, anderes FeSi kann schon wieder ganz andere Eigenschaften haben) kein GG der Klasse 4.3 sein. Dieses Zeug bildet einfach keine entzündlichen Gase in der Menge, wie sie die KLassifizierungskriterien für 4.3 fordern.
Knackpunkt ist eher: entfällt zwar die Hauptgefahr, aber eine Nebengefahr besteht weiterhin - wird diese dann zur neuen (weil einzigen) Hauptgefahr/ Klasse? Oder gibt es gar Sondervorschriften/ Ausnahmen etc. für FeSi? Ausnahme 16 für verdüstes FeSi ist ja ausgelaufen und träfe hier auch nicht zu, da es sich im konkreten Fall um Korngrößen >0,5mm (max. richtige Brocken, mit Staubbildung) handelt.
Als Glied in der Transportkette könnte ich ja einfach auf das SDB vertrauen - aber wie man oben sehen kann: wirklich konkret ist das nicht (kein GG der Klasse 4.3, schön aber was ist mit den restl. Klassen).
Auf meine Anfrage hat Herr Dr. Norbert Müller (der sich u.a. schon durch Fachbeiträge zum Thema "Ferrosilicium" in GeLa als Fachmann bestätigt hat) folgende Stellungnahme abgegeben:
A) Formal: FeSi ist freistellbar gemäß (z.B.) 2.2.43.1.7 ADR/RID/ADNR; Begründung: < 1 Liter entzündbares Gas/kg FeSi/Stunde (= 2.2.43.1.8 c) ADR/RID/ADNR).
B) Materiell: Im vorliegenden Fall ist das sich entwickelnde Gas (Phosphorwasserstoff) nicht nur brennbar, sondern auch giftig (ich hatte der BAM einmal vorgeschlagen, "6.1" in "2.3" zu ändern, habe aber keine Antwort bekommen). Ein Gas ist dann nicht giftig i.S.d. ADR/RID/ADNR usw., wenn der LC50 > 5000 ml/m³/h ist (2.2.2.1.5 b) ADR/RID/ADNR). Der LC50 von Phosphin ist 22.
C) Fazit: Das merkwürdige Ergebnis liegt an der Einteilung der Gefahrgüter in Klassen. Im vorliegenden Fall liegt die Freistellung an der Hauptgefahr; die Nebengefahr bleibt (gefährlicherweise?) unberücksichtigt.
Danke für die Antwort. Für die Praxis: Kann man also unter Berufung auf die Testergebnisse (keine Klasse 4.3) rein rechtlich FeSi als Nichtgefahrgut transportieren (auch wenn es rein nach dem Sicherheitsgedanken nicht ganz ok ist)?
In diesem Fall ist es wirklich vorgesehen, dass nicht jedes Ferrosilizium Gefahrgut ist! Das kann dem "Orange Book" (Recommendations on the Transport of Dangerous Goods) entnommen werden, das dem ADR zugrunde liegt. Dort ist bei Stoffen die nicht immer die Kriterien erfüllen eine Special Provision vorgesehen, dass ausgestuft werden kann. Bei Ferrosilizium ist das SP 223. Beim ADR gibt es auch eine generelle Ausstufungsklausel. Sachlich ist das übrigens auch gerechtfertigt: Wenn das brennbare, giftige Gas gar nicht entsteht (das hängt auch von der Korngröße und der Oberflächenbeschaffenheit ab), besteht auch keine Gefahr. Übrigens sollte Siliziumwasserstoff entstehen (obwohl natürlich Phosphide als Verunreinigung vorkommen können). Herzliche Grüße DFK
SP223 - If the chemical or physical properties of a substance covered by this description are such that when tested it does not meet the established defining criteria for the class or division listed in column (3), or any other class or division, it is not subject to these Regulations.
Dabei ist aber das Problem, dass die Behörden (z. B. BAM) jederzeit bestätigen, dass dieses FeSi nicht die Kriterien zur Einstufung in Klasse 4.3 erfüllt. Über eine eventuelle Einstufung (oder eben auch nicht) in 6.1 machen sie hingegen keine Aussagen. Demzufolge kann doch imo nicht einfach ausklassifiziert werden - da die Grundlage fehlt.
Brennbare Gase entstehen nicht (zumindest nicht in ausreichender Menge) aber ob (unabhängig davon) giftige Gase (in welcher Menge, welcher Toxizität) entstehen, kann keiner sagen.
Die SP223 gibt es natürlich auch im IMDG-Code, der ja auch auf dem Orange Book basiert! Ferrosilizium, das die Kriterien nicht erfüllt ist daher auch im Seeverkehr kein Gefahrgut.
Die giftigen Gase entstehen übrigens wirklich nur dann, wenn Verunreinigungen von Phosphor oder Arsen enthalten sind! Dann kann neben Wasserstoff auch giftiges Phosphin und Arsin entstehen. Silan dürfte keine Rolle spielen (Es entsteht z.B. aus Magnesiumsilicid und ist gesundheitsschädlich). Daraus folgt, dass bei Ferrosilicium ohne Verunreinigungen keinerlei giftige Gase entstehen, sondern nur Wasserstoff. Eine chemikalienrechtliche Einstufung des Reinstoffes ist daher nicht vorgesehen, obwohl dort die Toxizitätsgrenzen strenger sind.