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Bergungsverpackungen ohne "T" #23531 18.06.2017 21:28
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King_Louie_21 Offline OP
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Hallo Gefahrgutkolleg(inn)en,

zu den Artikeln in der "gefährlichen Ladung" 03/2017 S. 24 ff. und 06/2017 S. 32:

Die beiden Artikel beschreiben die Möglichkeiten zur Beförderung beschädigter Versandstücke. Dabei kommt es je nach Interpretation des Autors bzw. der zitierten Fachleute zu unterschiedlichen Bewertungen, die zumindest mir ein paar Fragen offen lassen.

1. Nach Meinung von Alexander Nieruch (BAM) gelten die zur Bergung verwendeten Verpackungen ohne T-Codierung als zusammengesetzte Verpackungen, die gem. 6.1.5.2 ADR versandfertig zu prüfen sind. Dies bedeutet nach seiner Interpretation, dass das ursprüngliche beschädigte Versandstück dann als Innenverpackung einer zusammengesetzten Verpackung anzusehen ist und die zur Bergung eingesetzte intakte Verpackung die Außenverpackung darstellt. Alexander Nieruch geht jedoch nicht darauf ein, dass die Innenverpackung einer zusammengesetzten Verpackung den Anforderungen gem. 4.1.1.5 ADR entsprechen muss, also nicht beschädigt sein darf. Sein Konzept einer zusammengesetzten Verpackung ist damit aus meiner Sicht für beschädigte Versandstücke nicht anwendbar. Oder irre ich mich da?

Dies wirft die Fragestellung auf, wie dann der zweite Satz in 4.1.1.19.1 zu verstehen ist, wonach andere geeignete größere Verpackungen, IBC's 11A oder Großverpackungen mit geeigneten Prüfanforderungen auch zur Bergung eingesetzt werden können. Nachdem das beschädigte Versandstück aus meiner Sicht gem. 4.1.1.5 grundsätzlich nicht als Innenverpackung einer zusammengesetzten Verpackung tauglich ist, würde ich vorschlagen, die beschädigte Verpackung als Umhüllung und nicht als Innenverpackung anzusehen. Wenn dieser Gedankengang weiterverfolgt wird, dann wäre jede geeignete Verpackung, die den für den Stoff geltenden Prüfanforderungen entspricht, auch zur Bergung geeignet und es muss sich nicht zwingend um eine zusammengesetzte Verpackung handeln.

2. Norbert Kloppenborg lehnt die Verwendung größerer FIBC zur Bergung von bigbags ab, weil FIBC für Schüttgut zertifiziert sind und aus einem so geborgenen bigbag dann Stückgut wird, für den der FIBC nicht zertifiziert ist. Sein Unternehmen habe für solche Fälle einen W-codierten Rettungs-FIBC entwickelt. Wo finde ich im ADR die Aussage, dass Beförderungen mit FIBC als Schüttgut-Beförderungen gelten? Welche gefahrgutrechtliche Schüttgut-Zertifizierung für FIBC meint Norbert Kloppenborg? Darüber hinaus habe ich Begriff "Stückgut" bislang noch nicht im ADR gefunden. Ist mit Stückgut die "Beförderung von Versandstücken" gemeint und warum gelten dann mit Gefahrgut befüllte FIBC nicht als Versandstücke, genauso wie bei jedem anderen IBC?

3. Ulrich Püllen behauptet, auch X-codierte Kunststofffässer mit abnehmbaren Deckel der Fa. ENPAC können zu Bergungszwecken eingesetzt werden. Die ENPAC-Kunststofffässer sind ja vermutlich für bestimmte Stoffe zugelassen und für diese zugelassenen Stoffe sollte es eigentlich keine Diskussion geben, da sich dies aus meiner Sicht bereits aus 4.1.1.19.1 Satz 2 ergibt (siehe oben). Allerdings vermisse ich eine eindeutige und klare Aussage im Artikel von Ulrich Püllen zur Verwendung der ENPAC-Kunststofffässer zur Bergung von Stoffen, für die sie formal nicht zugelassen sind. Darf der Verpackungsverwender die ENPAC-Kunststofffässer grundsätzlich immer zur Bergung einsetzen, wenn er sie für geeignet hält, unabhängig davon, was im Zulassungsbescheid und der Prüfbescheinigung steht?

Ich würde mich freuen, wenn die Diskussion zu Bergungsverpackungen weitergeführt wird. Anscheinend gibt es hier auch bei den Experten unterschiedliche Ansätze und mein Eindruck ist, dass wir uns derzeit oft in einem Graubereich bewegen. Die mit der Bergung befassten Unternehmen benötigen jedoch Rechtsklarheit.

Schöne Grüße.

Re: Bergungsverpackungen ohne "T" [Re: King_Louie_21] #23536 19.06.2017 13:49
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UHeins Offline
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Auf Anfrage hat Herr Uwe Kraft, Stellv. Hafenkapitän im Hansestadt Bremischen Hafenamt und Träger des Deutschen Gefahrgut-Preises 2012, folgende Ausführungen zum Thema, speziell zu den "Bergungsfässern" der Firma Enpac, gegeben:



"Ich möchte zunächst auf die Darstellung von König Ludwig XXI (King_Louie_21) noch folgendes antworten: Abschnitt 4.1.1.5 ADR besagt nicht explizit, dass eine Innenverpackung nicht beschädigt sein darf. Die Anforderung ist, dass ihr Inhalt unter normalen Beförderungsbedingungen nicht in die Außenverpackung austreten kann. Ein stark verbeultes, aber noch dichtes Fass und auch ein beschädigtes abgedichtetes Fass (dieses umgeben mit Bindemitteln) können durchaus als Innenverpackungen verwendet werden, vorausgesetzt, die zulässige Größe als Innenverpackung ist nicht überschritten, und ein Flüssigkeitsaustritt ist unter normalen Beförderungsbedingungen nicht zu erwarten. Insoweit stimme ich der Auffassung von Alexander Nieruch (BAM) zu. So wird auch bei Bergungsmaßnahmen in den bremischen Häfen verfahren.



Mit Interesse habe ich den Beitrag von Herrn Püllen in "gefährliche ladung" 06/17 gelesen und erlaube mir dazu die nachfolgenden Hinweise:

Die Frage, warum die "Bergungsfässer" der Fa. ENPAC keine "T"-Kennzeichnung haben, lässt sich wie folgt beantworten: Gemäß Produktinformation entsprechen die Fässer der DOT-Anforderung, wie sie in 49 CFR § 173.3 (c ) festgelegt ist. Diese Vorschrift lautet wie folgt:

c)Salvage drums. Packages of hazardous materials that are damaged, defective, or leaking; packages found to be not conforming to the requirements of this subchapter after having been placed in transportation; and, hazardous materials that have spilled or leaked may be placed in a metal or plastic removable head salvage drum that is compatible with the lading and shipped for repackaging or disposal under the following conditions:

(1) Except as provided in paragraph (c)(7) of this section, the drum must be a UN 1A2, 1B2, 1N2 or 1H2 tested and marked for Packing Group III or higher performance standards for liquids or solids and a leakproofness test of 20 kPa (3 psig). Alternatively, a drum manufactured and marked prior to October 1, 1993 as a salvage drum, in accordance with the provisions of this section in effect on September 30, 1991, is authorized. Capacity of the drum may not exceed 450 L (119 gallons).

(7) A salvage packaging marked "T" in accordance with applicable provisions in the UN Recommendations may be used.


Der Unterschied zwischen der DOT- und der UN-Bergungsverpackung liegt im Prüfdruck der Dichtheitsprüfung (DOT = 20 kPa, UN = 30 kPa).

Die ENPAC-Bergungsfässer dürfen daher nicht mit "T" gekennzeichnet werden. Sie erfüllen nicht die Anforderungen nach 6.1.5.1.11 ADR, sind allerdings innerhalb der USA als Bergungsverpackung zugelassen.


Hinsichtlich der Verwendung von Bergungsfässern zitieren Sie 4.1.1.19.1, wo festgelegt ist, dass Bergungsverpackungen verwendet werden dürfen. Richtig ist: Die Verwendung einer Verpackung größerer Abmessung eines geeigneten Typs und geeigneter Prüfanforderung ist nicht ausgeschlossen, vorausgesetzt die Vorschriften in 4.1.1.19.2 und 4.1.1.19.3 sind eingehalten. Zu beachten ist hier die Einschränkung "geeigneter Typ und geeignete Prüfanforderung".

Sofern es sich beispielsweise um ein beschädigtes 250 l Kunststoff-Fass mit einem festen Stoff handelt, dem die Verpackungsanweisung P001 zugeordnet ist, kann ein Fass UN 1H2/X/450/S verwendet werden. Dieses Fass ist ja nach P001 auch ohne Innenverpackung zugelassen, also braucht man hier kein "Bergungsfass". Anders sieht es jedoch aus, wenn in dem beschädigten 250 l Fass ein flüssiger Stoff ist, dem die Verpackungsanweisung P002 zugeordnet ist. Das Fass vom Typ UN 1H2/X/450/S ist nur für feste Stoff und Innenverpackungen zugelassen. Nach Verpackungsanweisung P002 darf die Innenverpackung aber nur eine Größe von maximal 50 l haben, 250 l ist also zu groß. Man muss hier also entweder ein 1A2 Fass mit Dichtheitsprüfung und hydraulischer Druckprüfung haben, oder ein mit "T" gekennzeichnetes Fass, das bei der Baumusterzulassung zwar keine hydraulische Druckprüfung durchlaufen hat, zumindest aber doch die Dichtheitsprüfung mit 30 kPa. Ein Fass ohne Dichtheitsprüfung oder mit einer Dichtheitsprüfung von weniger als 30 kPa ist in diesem Fall nicht geeignet."



----> Je geringer das Wissen, desto sicherer das Urteil <----
Re: Bergungsverpackungen ohne "T" [Re: UHeins] #23544 20.06.2017 09:24
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Mal kurz am Rande:
P001 - flüssige Stoffe
P002 - feste Stoffe
Nicht umgekehrt!

Re: Bergungsverpackungen ohne "T" [Re: UHeins] #23545 20.06.2017 09:47
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Ich finde die Diskussion insgesamt bemerkenswert.

Gleiche Fragen habe ich mir vor einigen Jahren auch schon gestellt und bin nach Abstimmung mit der BAM zu dem Ergebnis gekommen, dass Bergungsverpackungen die T-Zulassung haben müssen.

Die Herangehensweise von Herrn Kraft finde ich auch mal ganz interessant. Ist eine völlig neue Interpretation. grin

Ich habe aufgehört, mich über die fehlende Harmonisierung auf der Welt aufzuregen. Ich bin bei Gasflaschen USA-Europa schon grandios gescheitert. Warum soll das bei Bergungsverpackungen anders sein.

Nun müssen wir aber mal rein praktisch betrachten, wer diese Bergungsverpackungen einsetzt. Das sind Bergungsdienste, Speditionen in Sammelgutnetzwerken, Entsorger und andere Hilfsdienste.

Wie läuft das ab? Es geht zu einem Einsatz, bei dem vielleicht selbst am Tag des Einsatzes noch nicht mal klar ist, was da verunfallt ist oder nicht mehr den Vorschriften entspricht. Kann ich mir da im Vorfeld Gedanken um die Fragen fest/flüssig bzw. die Behältergröße machen? NEIN! Zudem muss ich mir die Bergungsverpackungen auch vorher anschaffen. So ein Hin-und Her ist für den verwender nicht zu durchschauen. Die Käufer werden durch diesen Käse total verunsichert.

Das Fazit für mich kann nur lauten: Bergungsverpackungen mit T-Zulassung anschaffen und nichts anderes. Wer sich diesen Mist aus den USA aufdrehen lässt, dem ist dann eben auch nicht mehr zu helfen.

Diese prinzipielle Möglichkeit, auch Behälter ohne T-Zulassung einsetzen zu können, ist ja erst vor einigen Jahren in die Vorschriften rein gekommen. Auf wessen Initiative ist ja klar. Warum man im ADR diesen Bockmist übernehmen musste, erschließt sich mir auch nicht.


Zuletzt bearbeitet von DJSMP; 20.06.2017 09:51.
Re: Bergungsverpackungen ohne "T" [Re: UHeins] #23561 25.06.2017 15:51
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Vielen Dank an unseren Admin und an Kapitän Kraft für die ausführliche und hilfreiche Antwort. Jetzt verstehe ich den Hintergrund der gelben Kunststoff-Fässer der Fa. Enpac.

Nachvollziehen kann ich das von Kapitän Kraft beschriebene Konzept einer zusammengesetzten Verpackung zu Bergungszwecken, wenn gewährleistet ist, dass kein Gefahrgut aus der Innenverpackung austritt.

Praxisnah ist auch das Beispiel von Kapitän Kraft zur Bergung eines beschädigten 250L-Fasses mit Feststoffen in einer 1H2-Einzelverpackung mit 450L Volumen (UN_1H2/X/450/S) ohne T-Codierung. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die BAM diese Vorgehensweise auch billigt. Wenn ich Alexander Nieruch (BAM) in gela 03/2017 richtig verstanden habe, dann handelt es sich bei der Bergung eines beschädigten Versandstücks in einer 1H2-Verpackung unabhängig vom Aggregatszustand des Stoffs formal immer um eine zusammengesetzte Verpackung. Gem. P002 darf die Innenverpackung bei Feststoffen max. 50 kg betragen; das 250L-Fass wäre dann vermutlich zu schwer für eine Innenverpackung. Es wäre hilfreich, wenn die BAM ihre Position dazu nochmals erläutern könnte, um eine einheitliche Meinung der Experten zu erhalten.

Eine wichtige Frage habe ich noch zu den von Norbert Kloppenborg empfohlenen Rettungs-FIBC mit W-Codierung der Fa. Empac: Dürfen diese W-codierten FIBC auch noch nach ADR 2017 zu Bergungszwecken verwendet werden? 4.1.1.19.1 lässt entweder T-codierte Bergungsverpackungen/Bergungsgroßverpackungen (Satz 1) oder IBC des Typs 11A (Satz 2) zu. Woraus ergibt sich, dass ein W-codierter FIBC diese Anforderungen trotzdem erfüllt?

Schöne Grüße.


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